Vom Sterben der Illusionen - Gedanken am Karfreitag
Am Karfreitag gedenken Christen weltweit dem Tod Jesu Christi. Und auch meine Gedanken kreisen um das Sterben ... das Sterben meiner Illusionen.
Seit einigen Monaten beschäftige ich mich intensiv mit dem ethhischen Diskurs innerhalb buddhistischer Gruppen im Westen. Dabei werde ich mit berechtigter Kritik und Vorwürfen gegenüber buddhistischen Lehrer*innen, unterschiedlichen Traditionen, offiziellen Vertretern und verschiedenen Sanghas / konfroniert, die sehr schmerzlich und für mich manchmal kaum zu ertragen sind.
Als ich vor 15 Jahren mit dem des Weg des Dharmas begann, habe ich lange Zeit in eine kleinen, heilen Welt praktiziert. Lehrer und Gemeinschaften, die missbräuchliches Verhalten oder Straftaten begehen, habe ich als seltene Einzelfälle, als Ausnahmen betrachtet...und gerne weggeschaut bzw. gedacht "Bei uns könnte das nicht passieren; mein Weg ist sicher; die haben den Dharma wohl nicht richtig verstanden."

Doch nun möchte ich nicht mehr wegschauen und mich bewusst mit den Schattenseiten des Buddhismus auseinander setzen, die keine Unterschiede zwischen den Traditionen und Lehrstilen machen; und bin überrascht, welch schmerhaften Empfindungen und Geistesformationen in dieser Auseinandersetzung aufkommen: Von Enttäuschung ("Ich dachte, Buddhisten wären besser."), über Scham ("War ich so naiv?"), bis hin zu Wut (" Wie kann ein buddhistische*r Lehrer*in nur so etwas tun?!") und Ablehnung ("Also,mit denen will ich nix mehr zu tun haben!").
Where is the wisdom - where is the love?
Glücklicherweise hat mich die jahrelange Praxis vorbereitet, mich von diesen heftigen Gefühlen nicht wegtragen zu lassen, sondern innezuhalten und zu betrachten, völlig zuzulassen (auch das Schmerzhafte) und loszulassen. Besonders mein Rede im Austausch mit anderen, die ebenfalls entrüstet oder erzürnt sind, nicht von diesen Gefühlen einfärben zu lassen und verletzendes zu sagen, ist eine besondere Herausforderung. Dabei kommt mir immer der Satz meines Lehrers, Christopher Titmuss, in den Sinn "Where is the wisdom - where is the love?". Und ein Dharma Freund bringt das Dilemma wahrlich auf den Punkt "Wie handelt man klar und besonnen, engagiert und ohne Hass?"
Weise handeln - getragen von Liebe
Wie kann man also heilsam umgehen mit ethischen Verfehlungen anderer und seinen eigenen Verletzungen und Enttäuschungen begegnen, wenn man desillusioniert wird?
Weises Betrachten bedarf im ersten Schritt ungeheuer viel Mut, hinzuschauen und unethisches Verhalten klar zu benennen. Dazu gehört, gerade in Zeiten der digitalen Informationsblasen, aber auch möglichst viel Informationen, Hintergrundwissen und unterschiedliche Perspektive einzuholen, bevor man engagiert in die Handlung übergeht. Denn Handlung ist nötig! Buddhistischer Gleichmut und Besonnenheit sind klar abzugrenzen von Passivität und Gleichgültigkeit. Und Handeln ist vielfacher Form möglich. In Form von Aussprache, Forderungen, Kritik, Distanzierung, Ausschluss u.v.m.
Der reinste Lehrer
Doch wie kann mein Handeln getragen sein von Liebe, wenn in der Desillusionierung meine Gefühle von Enttäuschung und Ablehnung geprägt sind. Glücklicherweise entdecke ich in Jack Kornfields Buch "Frag den Buddha und gehe den Weg des Herzens." einen hilfreichen Hinweis, der viel Klarheit in meinem Kopf und viel Mitgefühl in meinem Herz weckt:
"Desillusionierung gehört zu einem wichtigen Teil des spirituellen Weges. Es ist ein feuriges Tor, einer der besten und reinsten Lehrer des Erwachens, der Unabhängigkeit und des Loslassens, denen wir jemals begegnen werden. Doch während sich unsere Augen öffnen, verschließt der daraus resultierende Schmerz oft unser Herz. Die Herausforderung liegt darin, dass wir die Augen offenhalten und dabei dennoch mit dem großem Herzen des Mitgefühls in Verbindung bleiben."
So bleibe ich liebevoller Verbindung mit mir selbst und heiße meine Desillusionierung als reinigenden Schritt meines Weges willkommen. So halte ich meine Augen offen für die Fallstricke der spirituellen Reise, erkenne unethisches Verhalten innerhalb buddhistischer Gruppen, spreche Missstände mutig an und schließe "Übeltäter" nicht aus meinem Herzen aus. Und schließlich erinnere mich an den christlichen Spruch meiner Oma "Bekämpfe die Sünde, nicht den Sünder."
Frohe Ostertage für alle Wesen.
